Julie Löwy, die Mutter Franz Kafkas, wurde am 23. März 1856 in Podiebrad (Poděbrady) an der Elbe geboren. Sie stammte aus einer jüdischen Unternehmerfamilie, die unter anderem eine Brauerei gepachtet hatte. Julie hatte fünf Brüder; ihre Ausbildung beschränkte sich vermutlich auf häuslichen Privatunterricht. 1876 übersiedelte die Familie nach Prag. 1882 lernte sie — offenbar durch einen Heiratsvermittler — Hermann Kafka kennen, der zu diesem Zeitpunkt noch als Handlungsreisender angestellt war, aber bereits in Prag lebte. Fast gleichzeitig mit der Hochzeit im September 1882 wurde auch das Kafkasche Galanteriewarengeschäft eröffnet, nicht zuletzt auf Grundlage von Julies Mitgift.
In diesem Geschäft trat zwar Hermann als unumschränkter Prinzipal auf, doch trotz der sechs Geburten und der zunehmendem Pflichten im Haushalt verbrachte Julie Kafka fast genau so viele Arbeitsstunden im Geschäft wie ihr Mann und war hier auch an allen wesentlichen Entscheidungen beteiligt.
Im Gegensatz zu ihrem polternden und ewig nörgelnden Ehemann war Julie eine ausgeglichene, pragmatische, dabei freundliche und weithin beliebte Persönlichkeit. Charakteristisch für sie war — und Kafka hat ihr dies auch vorgehalten —, dass sie die häufigen Konflikte zwischen ihren Kindern und ihrem Mann stets nur zu ersticken suchte, anstatt wirkliche Lösungen zu suchen: dies zumeist mit dem Argument, Hermann müsse ›geschont‹ werden. Da Julie keine Beziehung zur Literatur hatte, blieb sie gegenüber der intellektuellen Entwicklung ihres Sohnes indifferent; es ist nicht bekannt, ob sie je eines seiner Werke gelesen hat.
Mit dem Verkauf ihres Geschäfts im Jahr 1918 setzte sich das Ehepaar Kafka zur Ruhe. Nach dem Tod ihres Mannes am 6. Juni 1931 übersiedelte Julie Kafka vom Altstädter Ring in das 1918 erworbene Haus Bilekgasse 4, wo bereits die Töchter Ottla und Elli mit ihren Familien sowie Julies Bruder Siegfried lebten. Dort starb sie am 27. September 1934.
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