An seiner Erzählung Die Verwandlung arbeitete Kafka vom 17. November bis 7. Dezember 1912. Zu dieser Zeit lebte er schon seit mehr als fünf Jahren mit den Eltern in einem modernen, neu errichteten Mietshaus in der Niklasstraße. Die Wohnung im vierten Stock bot einen Blick über die Moldau und die Čech-Brücke zu den gegenüber gelegenen Parkanlagen am Abhang des Belvedere. (Auf dem Foto das linke Eckhaus, mit Kafkas Fenster links neben dem Balkon.)
Der in einen Käfer verwandelte Vertreter Gregor Samsa, der Held der Erzählung, genießt diese Aussicht nicht; vor seinem Fenster erstreckt sich vielmehr die lange und einförmige Fensterfront eines Krankenhauses. Die Wohnung selbst jedoch ist offensichtlich die der Kafkas. Vergleicht man den Grundriss der realen Wohnung mit den einschlägigen Hinweisen in der Erzählung, so zeigt sich, dass Kafka zwar die Nutzung der einzelnen Zimmer verändert, deren Anordnung aber genau übernommen hat. Kafkas Zimmer wird zu Gregors Zimmer, das Schlafzimmer der Eltern wird zum Zimmer der Schwester Grete, und das Mädchenzimmer – in dem noch Kafkas Schwester Ottla und Valli wohnten – wird zum Schlafzimmer des Ehepaars Samsa.
Die Abbildung zeigt den von Hartmut Binder aufbereiteten Grundriss der Kafkaschen Wohnung. Der schwarze Punkt markiert die Stelle im Wohnzimmer, von der aus Gregor Samsa, zum ersten Mal auf seinen »vielen Beinchen« stehend, dem ins Treppenhaus flüchtenden Prokuristen nachblickt.
Quelle: Hartmut Binder, Kafkas »Verwandlung«. Entstehung, Deutung, Wirkung, Frankfurt am Main 2004 (die Abbildung hier S. 118).
Foto: Roland Templin, Berlin