Zu Kafkas Lebzeiten waren Juden in Österreich-Ungarn rechtlich völlig gleichgestellt. Die soziale Wirklichkeit sah freilich anders aus, insbesondere im Hinblick auf Berufswahl und Karriere. Wer eine Beamtenstelle anstrebte – sei es als Professor oder als einfacher städtischer Beamter –, hatte kaum eine Chance, wenn er sich nicht dazu bereit erklärte, zum Katholizismus überzutreten (»die Taufe anzunehmen«, wie man sagte).
Ob die Möglichkeit der Konversion in der Familie Kafka je ernsthaft erörtert wurde, ist nicht überliefert. Es spricht jedoch vieles dafür, dass sie diesen Weg ablehnte. Damit waren Kafkas berufliche Optionen stark vermindert: Er konnte das Geschäft des Vaters übernehmen (woran er niemals Interesse zeigte), er konnte ein Studienfach wählen, das ihn in die ›freie Wirtschaft‹ führte (daher versuchte er es zunächst mit Chemie), oder aber ein Fach, das selbstständige Tätigkeit ermöglichte (etwa als Anwalt oder Arzt).
In die halbstaatliche Arbeiter-Unfall-Versicherung gelangte der Jurist Kafka schließlich nur durch Glück und Protektion. Er hatte dort einen einzigen jüdischen Kollegen.
Ungeklärt ist, warum die Stadt Prag der Familie Kafka erst nach zwei Jahrzehnten Heimatrecht gewährte (1901). Auch dies könnte mit ihrem Status als Juden zu tun haben.