Unter allen deutschsprachigen Autoren seiner Zeit, deren Namen noch heute von Bedeutung sind, war Kafka sicherlich der ›sportlichste‹. Er betrieb zwar keinen Leistungssport, war auch in keinem Verein aktiv, doch gingen seine sportlichen Betätigungen weit über das damalige bürgerliche Maß hinaus. So war er zum Beispiel ein geschickter und ausdauernder Schwimmer, er beherrschte das Kajak, und auf der Moldau besaß Kafka zeitweilig sogar ein eigenes Ruderboot.
Die üblichen sportlichen Betätigungen bürgerlicher Studenten machte Kafka zwar halbherzig mit – vor allem Reiten und Tennis –, doch ersetzte er sie schon bald durch Fitness-Übungen, die von der Naturheilbewegung propagiert wurden und für die man weder Zubehör noch Partner benötigte. So hielt er über mehr als ein Jahrzehnt eisern an seinem täglichen Gymnastikprogramm fest, und er unternahm regelmäßige, stundenlange Fußmärsche in der Umgebung Prags.
Kafka hatte zum eigenen Körper eine auffallend unerotische Beziehung, er empfand sich als mager (zu Recht) und schwächlich (zu Unrecht). Auch neigte er zur hypochondrischen Beobachtung des Körpers und beschäftigte sich viel mit Fragen gesunder Ernährung und Kleidung. Andererseits war er auf seine allgemeine Fitness durchaus stolz. So war er lange Zeit der Überzeugung, vor Erkältungen gefeit zu sein, und noch als Tuberkulosekrankem machte es ihm Freude, zu demonstrieren, wie schnell er rudern konnte.
Vermutlich waren es die wohltätigen Effekte der motorischen Abfuhr und der Lösung innerer Spannungen, die Kafka zu einem so überzeugten und auch missionarisch wirkenden ›Sportler‹ machten. Stimmungsschwankungen, Depressionen, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit ließen sich auf diese Weise zumindest lindern, ganz ohne ärztliche Rezepte, die Kafka verachtete. Erst die Tuberkulose beraubte ihn aller Möglichkeiten zur Selbsthilfe und erschütterte damit auch sein auf Autonomie gegründetes Selbstbild.