Der Wirt begrüsste den Gast. Ein Zimmer im ersten Stockwerk war bereitgemacht. »Das Fürstenzimmer« sagte der Wirt. Es war ein grosses Zimmer mit zwei Fenstern und einer Glastüre zwischen ihnen, quälend gross in seiner Kahlheit. Die paar Möbelstücke, die drin herumstanden waren merkwürdig dünnfüssig, man hätte glauben können sie seien aus Eisen, sie waren aber aus Holz. Den Balkon bitte ich nicht zu betreten sagte der Wirt, als der Gast, nachdem er kurz aus einem Fenster in die Nacht hinaus gesehn hatte, sich der Glastüre näherte. »Der Tragbalken ist ein wenig brüchig geworden.« Das Stubenmädchen trat ein, machte sich am Waschtisch zu schaffen und fragte dabei, ob genügend geheizt sei. Der Gast nickte. Aber trotzdem er bisher nichts an dem Zimmer ausgesetzt hatte, gieng er noch immer völlig angezogen im Mantel mit Stock und Hut in der Hand auf und ab, als sei es noch nicht gewiss, ob er hier bleiben werde. Der Wirt stand beim Stubenmädchen, plötzlich trat der Gast hinter die beiden und rief: »Warum flüstert Ihr?« Der Wirt erschrocken: »ich gab dem Mädchen nur Anweisungen wegen des Bettzeugs. Das Zimmer ist leider ich sehe es erst jetzt, nicht so sorgfältig vorbereitet, wie ich es gewünscht hätte. Es wird aber alles gleich geschehn.« »Davon ist nicht die Rede« sagte der Gast »ich habe nichts anderes erwartet als ein schmutziges Loch und ein widerliches Bett. Suche mich nicht abzulenken. Nur das eine will ich wissen: Wer hat Dir meine Ankunft angezeigt?« »Niemand Herr sagte der Wirt. »Du hast mich erwartet« »Ich bin ein Wirt und erwarte Gäste« »Das Zimmer war vorbereitet« »Wie immer« »Gut also, Du wusstest nichts, ich aber bleibe nicht hier. Und er riss ein Fenster auf und rief hinaus: »Nicht ausspannen, wir fahren weiter. Aber als er zur Tür eilte trat ihm das Stubenmädchen in den Weg, ein schwaches, förmlich allzujunges zartes Mädchen und sagte mit gesenktem Kopf: »Geh nicht fort. Ja wir haben Dich erwartet, nur weil wir ungeschickt im Antworten unsicher Deiner Wünsche sind haben wir es verschwiegen« Die Erscheinung des Mädchen rührte den Gast, ihre Worte waren ihm verdächtig. »Lass mich mit dem Mädchen allein« sagte er zum Wirt. Der Wirt zögerte, dann ging er. »Komm« sagte der Gast zum Mädchen und sie setzten sich zum Tisch. »Wie heisst Du?« fragte der Gast und fasste über den Tisch hinweg des Mädchens Hand, »Elisabeth« sagte sie. »Elisabeth« sagte er »höre mich genau an. Ich habe eine schwere Aufgabe vor mir und habe ihr mein ganzes Leben gewidmet. Ich tue es fröhlich und verlange niemandes Mitleid. Aber weil es alles ist was ich habe, diese Aufgabe nämlich unterdrücke ich alles was mich bei ihrer Ausführung stören könnte, rücksichtslos. Du, ich kann in dieser Rücksichtlosigkeit wahnsinnig werden.« Er drückte ihre Hand, sie blickte ihn an und nickte. »Das hast Du also verstanden« sagte er »und nun erkläre mir, wie ihr von meiner Ankunft erfahren habt. Nur das will ich wissen, nach Euerer Gesinnung frage ich nicht. Zum Kampf bin ich ja hier, aber ich will nicht angegriffen werden vor meiner Ankunft. Was war also, ehe ich kam?« »Das ganze Dorf weiss von Deiner Ankunft, ich kann es nicht erklären, schon seit Wochen wissen es alle, es geht wohl vom Schloss aus, mehr weiss ich nicht.« »Jemand vom Schloss war hier und hat mich angemeldet?« »Nein niemand war hier, die Herren vom Schloss verkehren nicht mit uns, aber die Dienerschaft oben mag davon gesprochen, Leute aus dem Dorf mögen es gehört haben, so hat es sich vielleicht verbreitet. Es kommen ja so wenig Fremde her, von einem Fremden spricht man viel.« »Wenig Fremde?« fragte der Gast. »Ach« sagte das Mädchen und lächelte — es sah gleichzeitig zutraulich und fremd aus — niemand kommt, es ist als hätte die Welt uns vergessen.« »Warum sollte man denn auch herkommen« sagte der Gast »ist denn hier etwas Sehenswertes?« Das Mädchen entzog ihm langsam ihre Hand und sagte: Du hast noch immer kein Vertrauen zu mir.« »Mit Recht« sagte der Gast und stand auf »Ihr seid alle ein Pack aber Du bist noch gefährlicher als der Wirt. Du bist eigens vom Schloss hergeschickt, mich zu bedienen.« »Vom Schloss geschickt« sagte das Mädchen »wie wenig Du unsere Verhältnisse kennst. Aus Misstrauen fährst Du fort, denn nun fährst Du wohl.« »Nein« sagte der Gast, riss den Mantel von sich und warf ihn auf einen Sessel »ich fahre nicht, nicht einmal dieses: mich von hier zu vertreiben, hast Du erreicht.« Plötzlich aber schwankte er, hielt sich noch ein paar Schritte und fiel dann über das Bett hin. Das Mädchen eilte zu ihm: »Was ist Dir?« flüsterte sie und schon lief sie zum Waschbecken und holte Wasser und kniete bei ihm nieder und wusch sein Gesicht. »Warum quält Ihr mich so?« sagte er mühsam. »Wir quälen Dich doch nicht« sagte das Mädchen »Du willst etwas von uns und wir wissen nicht was. Sprich offen mit mir und ich werde Dir offen antworten«
Dieses Fragment, entstanden wahrscheinlich Ende Januar 1922 in Spindelmühle im Riesengebirge, ist Kafkas erste Aufzeichnung zu seinem Roman Das Schloss. Offenbar verwarf er diesen Romanbeginn schon kurz nach der Niederschrift; in einem neuen Anlauf entstand dann das bekannte Eingangskapitel ›Ankunft‹, das Kafka allerdings zunächst in Ich-Form verfasste. Diese Erzählperspektive gab er dann in der Mitte des dritten Kapitels auf; erst hier entschloss er sich, den Protagonisten des Romans ›K.‹ zu nennen.
Zitiert nach: Franz Kafka, Das Schloß, hrsg. von Malcolm Pasley, 2. Auflage, Frankfurt am Main (S.Fischer) 1983, Apparatband, Seite 115–117. Zur Datierung des Fragments siehe Seite 63.