Wie gefällt Dir mein Zeichnen? Du, ich war einmal ein großer Zeichner, nur habe ich dann bei einer schlechten Malerin schulmässiges Zeichnen zu lernen angefangen und mein ganzes Talent verdorben. Denk nur! Aber warte, ich werde Dir nächstens paar alte Zeichnungen schicken, damit Du etwas zum Lachen hast. Jene Zeichnungen haben mich zu seiner Zeit, es ist schon Jahre her, mehr befriedigt, als irgendetwas.
Von Kafkas Bemühungen als Zeichner ist wenig erhalten geblieben, und auch dies wenige nur aufgrund der Sammelleidenschaft Max Brods, der selbst Kritzeleien Kafkas am Rand von Vorlesungsmitschriften aufbewahrte. Am stärksten prägten sich Kafkas Lesern seine expressionistisch anmutenden ›Strichmännchen‹ ein, da sie für Illustrationen, Buchumschläge etc. schon vielfach verwendet wurden.
Viel weniger bekannt ist, dass von Kafka auch ein Selbstporträt – möglicherweise nach der Vorlage eines Fotos – sowie eine Porträtzeichnung seiner Mutter überliefert sind. Auch diese Zeichnungen sind nicht datierbar, sie könnten jedoch im Zusammenhang mit einer Tagebuchnotiz von 1911 stehen. Am wahrscheinlichsten ist demzufolge, dass Kafka seine Mutter beim abendlichen Kartenspiel mit ihrem Ehemann porträtierte:
Jetzt erinnere ich mich, dass die Brille im Traum von meiner Mutter stammt, die am Abend neben mir sitzt und unter ihrem Zwicker während des Kartenspiels nicht sehr angenehm zu mir herüberschaut. Ihr Zwicker hat sogar, was ich früher bemerkt zu haben mich nicht erinnere das rechte Glas näher dem Auge als das linke.
Quellen: Brief an Felice Bauer, 11./12. Februar 1913, in: Franz Kafka, Briefe 1913 – März 1914, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main (S.Fischer) 1999, S. 87. Tagebucheintrag vom 2. Oktober 1911, in: Franz Kafka, Tagebücher, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcolm Pasley, Frankfurt am Main (S.Fischer) 1990, S. 52. – Siehe auch ›Einmal ein großer Zeichner‹. Franz Kafka als bildender Künstler, hrsg. von Niels Bokhove und Marijke van Dorst, Prag 2006.
Abbildungen: S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main