Anfang der sechziger Jahre unternahm der Mediziner Hugo Hecht, ein langjähriger Mitschüler Kafkas, Recherchen über das Schicksal seiner Abiturklasse. Die vorläufigen Ergebnisse veröffentlichte er 1963 in der Monatsschrift Prager Nachrichten. Er hatte ermittelt, dass bereits zu Ende des Zweiten Weltkriegs, da seine einstigen Mitschüler 62 bis 64 Jahre alt waren, von insgesamt 24 Abiturienten wahrscheinlich nur noch fünf am Leben waren. Die Bilanz ist grauenhaft, schrieb Hecht, mehr als ein Drittel der Klasse fiel einem gewaltsamen Tod zum Opfer.
Diese Bilanz geht natürlich vor allem auf die Judenverfolgungen des Nazi-
Auch Kafka selbst, der ja nur knapp 41 Jahre alt wurde, überlebte bereits drei seiner Mitschüler. Zwei von Ihnen begingen Selbstmord schon bald nach dem Abitur, ein weiterer, Kafkas naher Freund Oskar Pollak, wurde an der Insonzo-Front getötet. Wobei die Überlebenschancen ehemaliger Abiturienten im Ersten Weltkrieg noch überdurchschnittlich hoch waren. Denn viele von ihnen ergriffen Berufe, die ›kriegswichtig‹ waren und ihnen den Kampfeinsatz daher ersparten: insbesondere Mediziner (fünf in Kafkas Klasse), aber auch Juristen wie Kafka selbst, der von seiner Behörde als unabkömmlich reklamiert wurde.
Die Abbildung zeigt das Verzeichnis von Kafkas letzter Gymnasialklasse im Jahresbericht des Altstädter deutschen Gymnasiums, mit Ausnahme zweier Mitschüler, die bei der Abiturprüfung 1901 durchgefallen waren. Die aufgeführten »gewählten Berufe« sind häufig nicht identisch mit den später tatsächlich ausgeübten Berufen – so auch in Kafkas Fall. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass »Philosophie« hier nicht das Lehrfach meinte, sondern als Dachbegriff für alle Geisteswissenschaften verwendet wurde.
Quellen: Hugo Hecht, ›Franz Kafkas Maturaklasse – nach 60 Jahren‹, in: Prager Nachrichten, 14. Jg., Heft 2 (Februar 1963), S. 2-6. Hugo Hecht, ›Zwölf Jahre in der Schule mit Franz Kafka‹, in: »Als Kafka mir entgegenkam...«. Erinnerungen an Franz Kafka, hrsg. von Hans-Gerd Koch, erweiterte Neuausgabe, Berlin 2005, S. 32-43.
Abbildung: Archiv Kritische Kafka-Ausgabe, Wuppertal