Die erste Verlagswerbung

Franz Kafka ist denen, die die Entwicklung unserer besten jungen Dichter verfolgen, längst bekannt durch Novellen und Skizzen, die im »Hyperion« und anderen Zeitschriften erschienen. Seine Eigenart, die ihn dichterische Arbeiten immer und immer wieder durchzufeilen zwingt, hielt ihn bisher von der Herausgabe von Büchern ab. Wir freuen uns das Erscheinen des ersten Werkes dieses feinen, kultivierten Geistes in unserem Verlage anzeigen zu können. Die Art der formal feingeschliffenen, inhaltlich tief empfundenen und durchdachten Betrachtungen, die dieser Band vereinigt, stellt Kafka vielleicht neben Robert Walser, von dem ihn doch wiederum in der dichterischen Umgestaltung seelischer Erlebnisse tiefe Wesensunterschiede trennen. Ein Autor und ein Buch, dem allseitig größtes Interesse entgegengebracht wird.



Text einer ganzseitigen Anzeige des Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig, zu Kafkas erster Buchveröffentlichung Betrachtung. Die Anzeige erschien am 18. November 1912 im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Betrachtung wurde im November 1912 in 800 nummerierten und bibliophil ausgestatteten Exemplaren gedruckt und ab Anfang Dezember ausgeliefert. Der Ladenpreis betrug 4,50 Mark (Japan-Broschur) bzw. 6,50 Mark (Halbleder). Kafka erhielt pro verkauftem Exemplar 37 Pfennig Honorar.

Der Verkaufserfolg ist nicht mehr mit letzter Genauigkeit rekonstruierbar; er war jedoch so gering, dass an Nachauflagen nicht zu denken war (die »Zweite Ausgabe« von 1915 ist kein Nachdruck, sondern trägt lediglich ein neues Titelblatt). Aus Honorarabrechnungen des Verlags zwischen 1915 und 1918 geht hervor, dass innerhalb eines Jahres 258, dann 102, schließlich nur noch 69 Exemplare verkauft wurden. Das Buch war offenbar erst 1924, in Kafkas Todesjahr, vergriffen.

Wer den Text der Anzeige verfasst hat, ist nicht überliefert. Ernst Rowohlt war bereits drei Wochen zuvor aus dem Verlag ausgeschieden; alleiniger Inhaber war nun Kurt Wolff. Seit Oktober 1912 arbeitete Franz Werfel als Lektor für Wolff. Auch Kurt Pinthus war zu dieser Zeit nebenberuflicher Lektor des Verlags. Die Erwähnung einer persönlichen »Eigenart« Kafkas lässt vermuten, dass Max Brod, der mit Werfel befreundet war, den Text zumindest beeinflusst hat.